Einsamkeit trifft vor allem auch junge Erwachsene
Einsamkeit kann für Betroffene zu einer chronischen Belastung werden. Zudem: Das Gefühl von allen verlassen zu sein und sich in die eigenen Wände zurückzuziehen, betrifft längst nicht mehr Seniorinnen und Senioren in unserer Gesellschaft – sondern vor allem auch junge Erwachsene. Darauf deuten aktuelle Studien, die Ende Mai veröffentlicht wurden. Zum einen die Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) sowie das „Einsamkeitsbarometer 2024“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Bei der BiB-Pressekonferenz war ich online dabei. Ich fand die Erkenntnisse der BiB-Erhebung sind spannend. Etwa ein Drittel der Erwachsenen zwischen 18 und 53 Jahren stufen sich demnach als (teilweise) einsam ein, unter den 19- bis 29-Jährigen sind es sogar 44,5 Prozent. Die Forschenden unterscheiden zwischen verschiedene Arten von Einsamkeit: Als sozial einsam gelten Menschen, die mit ihrem weiteren sozialen Umfeld aus Freundschaften und Nachbarschaft unzufrieden sind, und sich darin nicht unterstützt oder verbunden fühlen. Von emotionaler Einsamkeit können hingegen auch Personen mit einem großen sozialen Umfeld betroffen sein, hier geht es um ein gefühltes Defizit an Nähe zu engen Bezugspersonen. Weitere zentrale Risikofaktoren sind, nicht erwerbstätig zu sein, in seiner Gesundheit eingeschränkt zu sein und auch allein ohne einen weiteren Erwachsenen im Haushalt zu leben. „Kinder zu haben, schützt nicht vor Einsamkeitsgefühlen“, sagt BiB-Forschungsdirektor Professor Dr. Martin Bujard.
Einsamkeit kann gravierende gesundheitliche Folgen haben – vor allem, wenn das Gefühl anhält. Menschen mit einem chronifizierten Erleben von Einsamkeit haben beispielsweise häufiger Schlafprobleme, leiden eher an koronaren Herzerkrankungen, Schlaganfällen, Herzinfarkten sowie einer reduzierten Immunabwehr. Zudem sind sie anfällig für Suchterkrankungen und tendieren zu vorzeitigen physiologischen Alterungsprozessen. „Mit dem Begriff ,chronische Einsamkeit‘ beschreiben wir keine Diagnose im medizinischen Sinne, sondern ein angewöhntes Verhalten“, betont Bujard. Da während der Pandemie soziale Kontakte stark eingeschränkt waren, haben viele in ihrer Freizeit die digitale Welt erkundet. Bujard: „Viele Jugendliche und junge Erwachsene konnten gar nicht lernen, wie sie persönliche Kontakte aufbauen und pflegen können. Und jetzt verfügen sie – anders als beispielsweise Mittvierziger – nicht über das Repertoire, dieses soziale Verhalten anzuwenden.“
Hilfreich in solchen Lebenslagen können beispielsweise Angebote von Kirchengemeinden sein. Denn, so Bujard: „Wer in eine Kirche geht, braucht dort niemanden zu kennen und muss dort nichts leisten“. Auch Vereine, die nicht auf hartes Training setzen, sondern Just-Play-Angebote machen, können gute Anlaufstellen sein. Eltern von betroffenen Kindern und Jugendlichen sollten zudem beachten, dass Schule ein wichtiger sozialer Ort ist: „Ausflüge und Klassenfahrten sind unglaublich wichtig, um Kontakte knüpfen und Freundschaften aufbauen zu können. Eltern sollten ihre Kinder bestärken, diese Angebote wahrzunehmen“, so Bujard.
Eine Übersicht über Hilfen vor Ort bietet die „Angebotslandkarte“ des „Kompetenznetzes Einsamkeit“ (KNE). Das Projekt, das seit 2021 vom BMFSFJ gefördert und vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. umgesetzt wird, hat auf seiner Website eine deutschlandweite Landkarte mit rund 750 Angeboten für Begegnungen und soziale Kontakte erstellt. Die interaktive Übersicht gehört ebenso wie das „Einsamkeitsbarometer 2024“ zur Strategie gegen Einsamkeit, die die Bundesregierung Ende 2023 beschlossen hat.