Wertvolle Lehrmeister
Die moderne Medizin verfügt über genügend Wissen und Instrumente, um plagende Schmerzen abzustellen. Doch ist eine schmerzlose Gesellschaft erstrebenswert? Der Wissenschaftsjournalist Harro Albrecht hat jetzt ein lesenswertes Buch zum Thema „Schmerz“ (Bild: Ausschnitt des Buch-Cover/Pattloch)) geschrieben und will das Thema aus der rein medizinischen Umklammerung lösen. „Eine Befreiungsgeschichte“ lautet der Untertitel.
Albrecht berichtet darin von Kinder in Israel, die aufgrund eines genetischen Defekts, schmerzfrei sind. Diese Eigenschaft macht sie zu Außenseitern, die grob mit sich umgehen und selbst schwere Verletzungen klaglos hinnehmen. Schmerzen sind auch Warnsignale und Lehrmeister des Lebens. Wie wir mit Schmerzen umgehen, sagt etwas darüber aus, wie wir zum Leben stehen. Körperliche und seelische Schmerzen, so schreibt er, lösen in den Hirnstrukturen ähnliche Reaktionen aus. Um sie zu lindern, braucht es nicht immer Tabletten, sondern insbesondere soziale Lebenswelten, in denen ein Gefühlsausdruck nicht verpönt ist. „In einem Gesundheitssystem, das auf Geschwindigkeit getrimmt ist “, schreibt Albrecht, „ist diese Bindungsarbeit jedoch wegrationalisiert.“
In diesem Sinne helfen gegen Schmerzen auch Geselligkeit mit anderen Menschen und das Gefühl der Zugehörigkeit. Harro Albrecht hat als Herzpatient den Schmerz selbst erfahren und kennt – da er Mediziner ist – auch die andere Seite, die das Ringen mit den Schmerzen unbedingt wenden will. Als Autor hat er ein beeindruckendes Buch geschrieben, umfassend recherchiert, spannend erzählt und zuweilen ganz persönlich.