Familienrat: Hilfe als verbindende Qualität
Kennen Sie den „Familienrat“? Es ist ein Verfahren aus der Sozialarbeit, das an vielen Orten bereits im Rahmen der Jugendhilfe angewendet wird. Das Besondere daran: Die Betroffenen steuern selbst den Prozess. Begeleitet durch eine Koordinatorin, durch einen Koordinator benennen sie die Verwandten, die Freund:innen und Nachbar:innen und arbeiten gemeinsam mit ihnen an einem Plan, d.h. an ihren passgenauen Lösungen für ihre Probleme. Gemeinsam mit professionellen Fachkräften der Sozialen Arbeit können bei besonders schwierigen Fragestellungen Entscheidungen für die Familie auf Augenhöhe getroffen werden. Martina Erpenbeck, Trainerin in Hamburg, hat mir das erste Mal vom Familienrat erzählt. Die Sozialpädagogin arbeitet als Supervisorin sowie in der Organisationsentwicklung in eigener Praxis. Sie hat in Hamburg eines der ersten Familienratsbüros mit aufgebaut und bildet auch Interessierte für die Koordination von Familienräten aus. Zwischenzeitlich habe ich das von ihr empfohlene Buch „Familienrat und inklusive, versammelnde Methoden des Helfens“ gelesen. Frank Früchtel, Professor an der FH Potsdam und Erzsébet Roth, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Vechta, sind die beiden Autoren. Eine spannende Lektüre! Der Band führt mit vielen Fallbeispielen in das Verfahren ein, verweist auf die Ursprünge des Familienrates, der Family Group Conference in Neuseeland. Schritt für Schritt wird das Vorgehen in unterschiedlichen Kontexten, mit unterschiedlichen Problemlagen erläutert – mit allen Chancen, mit allen Hürden. Besonders wertvoll für mich waren die Einordnung des kultureller Hintergrunds – die Dorfgemeinschaft im Verständnis der indigenen Bevölkerung – sowie der Ausblick, in dem die modernen Formen des institutionalisierten Hilfeprozesses und der dahinter liegenden Annahmen reflektiert werden. Das Buch ist eine wunderbare, sehr praktische Grundlage, um Hilfen in unseren Unterstützungssystemen so zu gestalten, dass sie Menschen versammelt und miteinander in Kontakt bringt. Der Familienrat definiert Hilfe in ihrer „verbindenden Qualität“ und weniger als instrumentelle, problemlösende Methode. Die Lektüre empfehle ich insbesondere Profis in den Pflegeberatungen und Pflegestützpunkten. Mit versammelnden und vernetzenden Formen des Helfens ließen sich auch angesichts (drohender) Pflegebedürftigkeit entsprechende Netzwerke aus Profis, Angehörigen, Freund:innen und Nachbar:innen aufbauen.